100 – 50 – 30 – Fahrradstraße! - ADFC Bodenseekreis

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband Bodenseekreis

100 – 50 – 30 – Fahrradstraße!

Die Windhager Straße in Friedrichshafen verbindet Schnetzenhausen und den Ortsteil Windhag und ist eine beliebte Abkürzung für Autofahrer zum Landratsamt.

Die Windhager Straße in Friedrichshafen verbindet Schnetzenhausen und den Ortsteil Windhag und ist eine beliebte Abkürzung für Autofahrer zum Landratsamt. Auf einer Länge von 1,3 km verläuft die Gemeindeverbindungsstraße entlang der ehemaligen Kaserne des Fallenbrunnens, durch ein kleines Wäldchen und durch Felder und Wiesen.

Seit vielen Jahren laufen Diskussionen, wie die Windhager Straße für den Radverkehr attraktiver gemacht werden kann und ob sie für die wenigen Kraftfahrzeuge weiterhin als Schleichweg offen bleiben soll.

Fahrradstraße als Lösung

Die Radverkehrskonzepte Friedrichshafen (2013) und Bodenseekreis (2016) enthielten die Einrichtung einer Fahrradstraße als Maßnahmenvorschlag. Zuletzt 2022 lagen Anträge von Gemeinderatsfraktionen vor, endlich die Fahrradstraße einzurichten. Über diese Anträge beriet der Gemeinderat Ende 2022. Doch es wurde nichts daraus, seit Januar 2023 ist auf der Strecke Tempo 30 mit einem Durchfahrtsverbot für Kfz an Sonn- und Feiertagen angeordnet. Diese Regel läuft im Rahmen der Erprobungsklausel der StVO bis 2024.

Der ADFC hält die aktuelle Regelung, wie sie von der Stadtverwaltung durchgesetzt wurde, für nicht wirksam und für rechtlich fragwürdig. Die Erprobungsphase ist aus Sicht des ADFC gescheitert. Nur durch eine Fahrradstraße ohne MIV (motorisierter Individualverkehr), aber mit Freigabe des landwirtschaftlichen Verkehrs, kann die Windhager Straße zu einer attraktiven Radroute werden!

Lange Vorgeschichte

Früher galt auf der Windhager Straße als Außerortsstraße keine Geschwindigkeitsbegrenzung, somit waren 100 km/h zugelassen. 2016 stellte die Gemeinderatsfraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag auf ein „Fahr­ver­bot an Samstagen sowie Sonn- und Feiertagen als auch an Wochentagen mit ganztägig 50 km/h“.

Die Straßenverkehrsbehörde beurteilte den Antrag damals wie folgt: Für eine verkehrsrechtliche Beschränkung der Verkehrsart müsse ein begründeter Sachverhalt vorliegen, wie z.B. ein Unfallschwerpunkt oder besondere Gefahrenstellen. Dieser läge nicht vor. Straßenrechtlich bestünde die Möglichkeit einer Umwidmung, hierüber müsse der Gemeinderat entscheiden. Für die Geschwindigkeitsbeschränkung stellte die Straßenverkehrsbehörde eine Prüfung in Aussicht.

Die Stadtverwaltung empfahl damals dem Gemeinderat, die Einstufung als Gemeindeverbindungsstraße beizubehalten. Eine Sperrung an Wochenenden wurde als nicht notwendig angesehen, insbesondere im Hinblick auf die Schaffung eines „Präzedenzfalles“ für „zahlreiche vergleichbare Straßen im Stadtgebiet“.

Auch die Verlagerung des Kfz-Ver­kehrs auf „andere, ohnehin bereits stärker belastete Straßen“ wurde befürchtet.

Ein erster Schritt mit Tempo 50

Schließlich ordnete die Straßenverkehrsbehörde Tempo 50 an. Das im Antrag ebenfalls geforderte Fahrverbot an Samstagen sowie Sonn- und Feiertagen wurde abgelehnt.

2021 stellte die Fraktion Netzwerk für Friedrichshafen einen Antrag „zur Umwidmung der Windhager Straße in eine Fahrradstraße“. Ein weiterer Antrag des Netzwerks, der Grünen und der ödp von 2022 hatte die „Umwid­mung mittels Teileinziehung der Windhager Straße“ zum Inhalt.

Zahlen sind geduldig

Die Stadtverwaltung lehnte auch diesen Antrag ab und verwies auf eine Verkehrszählung „im Juni 2022“, deren detaillierte Daten nie veröffentlicht wurden. In der Sitzungsvorlage wurde vereinfacht dargestellt, dass am Zähltag ein Verhältnis von 1/3 Radverkehr (393 Fahrräder in 24 h) und 2/3 Kfz-Verkehr (1.161 Fahrzeuge in 24 h) er­mittelt worden sei. Mit einem Drittel Radverkehrsanteil sei eine „hohe“ Rad­verkehrsdichte nicht vorherzusagen, so die Sitzungsvorlage.

Seitens der Straßenverkehrsbehörde wurde auf die Radverkehrszählung  am Bodensee-Radweg von 2021 verwiesen, wo bis zu 5.000 Radfahrer in 24 h ermittelt wurden. Diese hohen Werte wurden als Argumentation verwendet, es läge in der Windhager Straße keine hohe Radverkehrsdichte vor. Dieser Bezug auf den Bodensee-Radweg ist aus Sicht des ADFC fachlich falsch und rechtlich nicht relevant. Beim Bodensee-Radweg handelt es sich um eine stark touristisch frequentierte Route, die kein Maßstab für die Windhager Straße sein kann.

Kompetenzüberschreitung

Gleichzeitig wurde durch die Straßenverkehrsbehörde die Netzbedeutung der Windhager Straße für den Radverkehr in Frage gestellt. Die Strecke sei „nicht von übermäßiger Bedeutung“ und „nicht zwingend notwendig“, es stünden „alternative Routen zur Verfügung“. Diese Beurteilung der Straßenverkehrsbehörde steht im Widerspruch zu den Radverkehrskonzeptionen der Stadt und des Landkreises! Die Straßenverkehrsbehörde argumentierte hier außerhalb ihrer Kompetenz und Zuständigkeit.

Hinsichtlich der Zulassung von Kraftfahrzeugen auf der Fahrradstraße ging die Straßenverkehrsbehörde davon aus, dass die Freigabe „Anlüger frei“ angeordnet werden müsse. Dies ist nach Auffassung des ADFC nicht erforderlich, da eine Freigabe des landwirtschaftlichen Kfz-Verkehrs ausreichend ist. Diese Regelung wäre für alle anderen Verkehrsteilnehmer eindeutig und würde gleichzeitig die Verkehrsüberwachung vereinfachen.

Angst vor dem Präzedenzfall

Der Hinweis der Straßenverkehrsbehörde, dass die Einrichtung einer Fahrradstraße immer eine Einzelfallprüfung voraussetzt, ist korrekt. Dass die Straßenverkehrsbehörde gleichzeitig einen Präzedenzfall fürchtete, ist ein Widerspruch zum Argument der Einzelfallprüfung und offensichtlich der Versuch, eine Drohkulisse aufzubauen, um diese und weitere kommunalpolitische Entscheidungen über Fahrradstraßen zu beeinflussen.

Dennoch räumte die Straßenverkehrsbehörde ein, dass der Gemeinderat einen „Antrag auf Umwidmung mittels Teileinziehung der Windhager Straße“ stellen könnte, was durch die Städtische Bauverwaltung zu prüfen wäre.  „Sofern eine Teileinziehung erfolgt, kann die Straßenverkehrsbehörde die Fahrradstraße in der Windhager Straße anordnen“. Genau das war das Ziel des Gemeinderatsantrags!

Diese Beurteilung der Stadtverwaltung zeigte auf, dass die Straßenverkehrsbehörde den Gemeinderat mit irreführenden und einseitigen Ausführungen beeinflusst hatte. Die Einrichtung einer Fahrradstraße konnte somit auf der Basis dieser Sitzungsvorlage vom Gemeinderat fachlich nicht korrekt diskutiert werden.

Probephase mit Tempo 30

2022 lehnte die Straßenverkehrsbehörde erneut die Einrichtung der Fahrradstraße ab und ordnete ab 2023 stattdessen eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h mit Durchfahrtsverbot für Kfz an Sonn- und Feiertagen im Rahmen der Erprobungsklausel an (Dauer der Probephase 12 bis 18 Monate).

Die Straßenverkehrsbehörde wies zu Recht darauf hin, dass eine Anordnung im Rahmen der Erprobungsklausel auch als endgültige Maßnahme rechtmäßig sein müsse.

Fragwürdige Rechtsauffassung

Der ADFC bezweifelt, dass auf einer Gemeindeverbindungsstraße ohne Un­­fall­häufung eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h im Rahmen des § 45 StVO dauerhaft zulässig ist.

Es ist außerdem nicht verständlich, warum die Straßenverkehrsbehörde bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h keinen Präzedenzfall sieht, während sie es bei einer Fahrradstraße befürchtet.

Probephase gescheitert

Beobachtungen auf der Windhager Straße im Laufe des Jahres 2023 zeigten, dass Kfz die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h mehrheitlich missachten. Dadurch hat sich für den Radverkehr keine Verbesserung eingestellt, die vom Gemeinderat ausdrücklich gewünscht wird!

Vorgehen der Behörde kritikwürdig

Für den ADFC ist das Vorgehen der Straßenverkehrsbehörde kritikwürdig, denn ihre Argumente sind widersprüchlich und aus Sicht des ADFC fachlich in Teilen nicht korrekt.

Besonders zu beanstanden ist die beinahe manipulative Art der Beeinflussung der Meinungsbildung des Gemeinderates über die Fahrradstraße auf der Windhager Straße.

Forderung des ADFC

2024 endet die Erprobungsphase, die von der Straßenverkehrsbehörde bewertet werden muss. Der ADFC fordert die Verwaltung auf, die verkehrsrechtliche Anordnung auf 30 km/h mit Durchfahrtsverbot für Kfz an Sonn- und Feiertagen aufzuheben.

Nur die Einrichtung einer Fahrradstraße mit Freigabe des landwirtschaftlichen Verkehrs kann wirksam den Radverkehr auf dieser wichtigen Achse sicherer und attraktiver machen. Die Rechtsgrundlagen für eine Fahrrad­straße sind vorhanden!

Es liegt jetzt am Gemeinderat, den richtigen Beschluss zu fassen.

(Bernhard Glatthaar, 2024)

Downloads

Die Windhager Straße verbindet Schnetzenhausen und Windhag. Seit Anfang 2023 gilt Tempo 30 und ein Durchfahrtsverbot für Kfz an Sonn- und Feiertagen.

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In Windhag kurz nach der 30-er Zone am Kindergarten beginnt der ca. 1,3 km lange Abschnitt der Windhager Straße außerorts.

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