Gewollte Blechlawine am Prachtboulevard
Im Juli 2023 wurde die provisorisch umgestaltete Friedrichstraße in Friedrichshafen für den Verkehr freigegeben. Viele Wochen war der „Prachtboulevard“ danach in der Presse Thema Nummer eins.
Im Juli 2023 wurde die provisorisch umgestaltete Friedrichstraße in Friedrichshafen für den Verkehr freigegeben. Viele Wochen war der „Prachtboulevard“ danach in der Presse Thema Nummer eins, denn der Start der neuen Verkehrsregelung war mehr als holprig und es hagelte Kritik von allen Seiten.
Bei der Verkehrsfreigabe ließ die Stadt alle Ampeln in Betrieb, was dazu führte, dass auch Radfahrer im Stau standen. 10 Minuten vom Paulinenstift bis zur Karlstraße eingeklemmt zwischen Autos zu stehen und Abgase einzuatmen, war keine Seltenheit, und das mitten in der Radsaison. Die Stadtverwaltung zierte sich lange, die Ampeln abzuschalten. Man hörte von vielen Radlern, dass sie die Friedrichstraße meiden. „Ich habe keine Zeit, durch die Friedrichstraße zu fahren“, meinte ein Häfler Radler dazu. Der einzige Lichtblick der Umgestaltung ist der weitgehend radlerfreie Gehweg auf der Südseite, wo Fußgänger nun ausreichend Platz zum Flanieren haben.
Alte Kamellen neu aufgetischt
Aus der Politik kamen die alten Vorschläge, die nicht funktionieren: Die Verbannung der Fußgänger auf den nördlichen Gehweg kam wieder zur Sprache, um den ehemaligen gemeinsamen Geh-und Radweg zum alleinigen Radweg zu machen – eine wirklichkeitsferne Phantasie. Die Strecke auf dem nördlichen Gehweg ist öde und an den Zufahrten zum Bahnhofsplatz weder barrierefrei noch sicher. Und wie soll ein Fußgängerverbot auf der Südseite umgesetzt und durchgesetzt werden?
Auch die Idee des Einbahnverkehrs auf der Friedrichstraße wurde wiederbelebt. Dass eine Einbahnregelung mehr Verkehr erzeugt, weil Umwege gefahren werden müssen, und dass man wegen der Busse dennoch zwei Fahrstreifen braucht, haben die Protagonisten nicht durchdacht. Oder soll etwa der Stadt- und Regionalbus nur im Einbahnverkehr durch die Friedrichstraße fahren dürfen?
Die Durchfahrt ist das Problem
Dank des Festhaltens einer großen Gemeinderatsmehrheit an der „freien Durchfahrt für freie motorisierte Häfler“ sind auf der Friedrichstraße weiterhin etwa 10.000 Kfz/Tag unterwegs, vor der Freigabe der B 31 neu waren es 15.000 Kfz/Tag. Von der Durchfahrt profitieren vor allem die zahlreichen PS-Proleten, die weiterhin in der Innenstadt ihre Runden drehen. Auch Navis leiten Autofahrer weiterhin durch die Friedrichstraße, trotz Tempo 20.
Allein die Grünen und die ödp forderten die Unterbrechung der Durchfahrt zwischen Karlstraße und Metzstraße, was auch der Lösungsansatz des ADFC ist: Nur mit weniger Kfz-Verkehr können die Verkehrsprobleme gelöst werden. Die Entwicklung innerstädtischer Qualität ist bei so hohem Kfz-Verkehrsaufkommen nicht möglich!
Das alt bekannte Gegenargument zur Durchfahrtsperrung, dass die Charlottenstraße dadurch zu hoch belastet würde, wurde reflexartig verwendet. Aber warum kam bisher weder aus dem Gemeinderat noch von der Stadtverwaltung oder vom Stadtforum ein konkreter Vorschlag oder ein Konzept, die Charlottenstraße zu entlasten?
Letztlich ist die Charlottenstraße für diese Lobby ein nützliches Totschlagargument gegen die Durchfahrtssperrung auf der Friedrichstraße. Den Status quo zu halten ist in Friedrichshafen eine heilige Kuh, die Angst vor Veränderungen bremst jede Entwicklung und Veränderung zum Besseren. Diesen Befund kann man auf viele wichtige Projekte der Stadt übertragen.
Radler-Lobby ignoriert
Der ADFC verzichtete 2023 bewusst auf öffentliche Stellungnahmen, denn es hätte nichts genutzt, sich in das heterogene Ensemble der Kritiker einzureihen. Außerdem hatten weder der Gemeinderat noch die Stadtverwaltung in den letzten Jahren Vorschläge des ADFC zur Friedrichstraße berücksichtigt. Auch der Arbeitskreis Radverkehr wurde bei wichtigen planerischen und verkehrsrechtlichen Aspekten der Friedrichstraße nicht einbezogen, was den Stellenwert des Arbeitskreises in der Verwaltung zeigt.
Altlast des Vorgängers
Die vom Gemeinderat im Jahr 2022 beschlossene und 2023 umgesetzte Verkehrsführung geht auf die fehlende Weichenstellung in der Amtszeit des früheren Baubürgermeisters Stefan Köhler zurück: Es wurden damals zwar über ein Dutzend Varianten für einen finalen Umbau am Sankt-Nimmerleins-Tag geplant, aber dem Gemeinderat wurde keine praktikable Übergangslösung vorgeschlagen. So kam es zum heutigen Provisorium, mit dem die wenigsten glücklich sind.
Der Opfermythos
Im November 2023 stand die Friedrichstraße erneut auf der Tagesordnung des PBU (Ausschuss für Planen, Bauen, Umwelt), um Nachbesserungen zu beschließen. Auf Kritik aus den Reihen der Gemeinderäte spielte die Verwaltung den Ball zurück: Der Gemeinderat hätte 2022 ja auch andere Varianten beschließen können, so der Leiter des Stadtbauamtes, Wolfgang Kübler. Und Baubürgermeister Fabian Müller verwies darauf, dass der damalige Beschluss des Gemeinderates nun die „Geschäftsgrundlage für die Verwaltung“ sei, für mehr Veränderung hätte die Verwaltung kein Mandat. Möglich seien deshalb nur „minimalinvasive“ Eingriffe.
Wer blockiert hier wen? Der Gemeinderat will etwas verändern, aber die Verwaltung darf keine Vorschläge machen? Wer im Rathaus hat die Entscheidungskompetenz, der Gemeinderat als Lenkungsorgan oder die Verwaltung? Es wurde der Eindruck erweckt, beide Beteiligten seien Opfer eines unabwendbaren Schicksals und beiden Beteiligten seien die Hände gebunden, Fehler in der Planung zu korrigieren. Der Fall „Friedrichstraße“ gab interessante Einblicke in das Verhältnis des Gemeinderates und der Verwaltung. Vertrauen und Kooperationsbereitschaft sieht anders aus.
Groteske Nachbesserungen
Die „Umweltspur“ auf der südlichen Riedleparkstraße hat sich als Fehlinvestition erwiesen, denn sie muss vor der Einmündung in die Friedrichstraße, wo sie ihre eigentliche Funktion erfüllen sollte, wieder enden, damit ein Fußgängerüberweg („Zebrastreifen“) über die Riedleparkstraße eingerichtet werden kann. Der Grund: Fußgängerüberwege sind nur bis max. zwei Fahrstreifen erlaubt.
Lust auf mehr? Der hoch frequentierte Fußgängerüberweg über die Friedrichstraße beim Gessler 1862, der als Provisorium problemlos funktionierte und sehr wichtig ist, sollte laut Verkehrsbehörde wieder entfallen, da die Sichtverhältnisse beim Rechtsabbiegen aus der Riedleparkstraße zu schlecht seien. Der Zebrastreifen würde vor allem den Busverkehr ausbremsen, der dadurch anhalten müsse und den Verkehr auf der Friedrichstraße blockieren würde. Kein Wunder, bei 10.000 Kfz pro Tag… Noch Fragen?
In der Sitzungsvorlage schrieb die Verwaltung, dass die Ampel am Bahnhofsplatz weiter bestehen soll, damit Busse „verlustfrei“ in die Friedrichstraße einfahren können. Der Anregung aus der Sitzung, dass die Ampel nicht benötigt werde, stimmte die Verwaltung zu. Warum nicht gleich so?
Ein weiteres Schmankerl: Bekannt ist, dass die Ampelphasen am Knoten des Landratsamtes aus Fischbach in Richtung Zeppelin- und Friedrichstraße zu lange auf Grün stehen, wodurch die Fahrtrichtung geradeaus für Autofahrer attraktiv ist, wenn die Linksabbiegespur Richtung Albrechtstraße auf Rot steht. Ein Antrag aus dem Gemeinderat sah vor, die Fahrbeziehung Richtung Innenstadt unattraktiver zu machen. Die Stadt lehnte dies ab und verwies auf den geplanten Umbau des Knotens nach dem Neubau des Landratsamtes, wo man es dann berücksichtigen könnte. Dass dies noch Jahre dauern würde, schien die Stadt nicht zu beeindrucken. Die Ironie des Schicksals: Nur wenige Tage später verkündete der Landrat das Aus für den Neubau des Landratsamtes...
Fazit
Die Umgestaltung der Friedrichstraße war und ist keine Glanzstunde der Kommunalpolitik und Verkehrsplanung in Friedrichshafen. Es ist zum Verzweifeln.
(Bernhard Glatthaar, 2024)